Diese Informationsseite erläutert die Ereignisse der magnetischen Stürmen vom 8-13. Mai 2024 von wissenschaftlicher Seite aus und beschreibt die Auswirkungen aus Sicht unserer Projektpartner. Diese Stürme werden auch Muttertagsstürme genannt, da sie während dem Muttertagswochenede stattfanden. 

 

1) Start mit Flares und CME Auswurf auf der Sonne

Trotz widriger Wetterbedingungen konnten Beobachtungen von der Sonnenoberfläche am Observatorium Kanzelhöhe durchgeführt werden. Flares werden in Importance Klassen unterteilt, welche Auskunft über die Ausdehnung des Flares geben: S (Subflare),1,2,3,4 (höchste Ausdehnung) und die Flare Brilliance mit F (Faint - schwach), N (Normal - normal), B (Brilliant - blended).  Insgesamt wurden im optischen Bereich (H-alpha, Chromosphäre) 25 Flares beobachtet, davon fielen in die Importance Klasse 1 fünf Flares (am 10.5. und 11.5.) und in die Importance Klasse 2 ein Flare (am 11.5.) und ein Importance 3 Flare (10.5.)
Der Importance 3B Flare fällt mit dem am GOES Satelliten gemessenen X3.9 Flare am 10.5. zusammen und der Importance 2N Flare mit den GOES Messungen des X1.5 Flares am 11.5. Im Weißlicht (Photosphäre) konnte keine Aufhellung (Weißlichtflare) gesehen werden. Auch in CaIIK (Chromosphäre) waren die Flares sichtbar aber nicht sehr ausgeprägt.

Die Benachrichtigungen zu den Flares wurden zeitnah (< 2 Min.) im Rahmen der Weltraumwetter-Dienste der europäischen Weltraumbehörde ESA (European Space Agency) ausgesandt. Dieser ist unter https://swe.ssa.esa.int/web/guest/kso-S107d-federated abrufbar.

Die Listen der Flares während der Muttertagsstürme können auf der Website des Observatorium Kanzelhöhe eingesehen werden (Weiterleitung an das Observatorium Kanzelhöhe):

 

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Bild: H-alpha Bild eines X3.9 Flares (optisch 3B) der aktiven Region AR 13664 vom 10. Mai beobachtet am Kanzelhöhe Observatorium 

 Auch im Weltraum beobachten Satelliten die Sonnenoberfläche, so auch der Satellite Solar Dynamics Observatory (SDO) der US Weltraumbehörde NASA. Das Instrument AIA nimmt dabei Bilder in verschiedenen Wellenlängen von der Sonnenoberfläche auf. Die Aktive Region AR13664 welche hauptverantworlich für die beobachteten Flares und koronallen Massenauswürfen war kann im folgenden Video, welches SDO Bilder mit Wellenlänge 171 Å darstellt, gut beobachtet werden.

 Video: Sonnenoberfläche beobachtet mit dem Instrument AIA an Bord des Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA

 

2) Ausbreitung des Sonnensturms im planetaren Raum und Ankunft auf der Erde

Die aktive Region AR13664 verursachte neben Flares auch eine Reihe von koronalen Massenauswürfen (CMEs). Insgesamt 5 koronale Massenauswürfe, die sich gegenseitig auf dem Weg zur Erde einholten und dadurch noch verstärkten, waren für die geomagnetischen Stürme zwischen 10. bis 12. Mai 2024 verantwortlich. Das österreichische Weltraumwetterbüro (Austrian Space Weather Office, ASWO) der GeoSphere Austria in Graz führt Modellberechnungen mit selbst entwickelten Simulationen durch, um die Ankunftszeit von CMEs und die assoziierten magnetischen Stürme zu bestimmen. Für den geomagnetischen Sturm vom 10. Mai wurde die Ankunftszeit auf nur wenige Minuten genau vom ASWO vorhergesagt. Das ASWO informierte zeitgerecht, schon ab Mittag des 10. Mai, über die Möglichkeit von Nordlichtern über Österreich. Die Ergebnisse der Modelle fließen auch in das CCMC Scoreboard der NASA ein, welches Weltraumwetter-Vorhersagen von Gruppen auf der ganzen Welt aufnimmt und vergleicht. Die österreichische Vorhersage des ASWO war damit auch die international genaueste für die Muttertagsstürme des 10.-12 Mai 2024. Der geomagnetische Sturm mit einem Minimum von -412 nT Dst war der stärkste seit November 2003. In weiten Teilen Österreichs, vor allem in den nördlichen und westlichen Bundesländern konnten Polarlichter beobachtet werden. Das ASWO arbeitet nun an wissenschaftliche Publikationen über die Ausbreitung und Interaktion dieser Sonnenstürme und die Möglichkeit solche Ereignisse mit zukünftigen Raumsonden besser vorherzusagen.

Video: Elevo-Modell der Muttertagsstürme vom Austrian Space Weather Office (ASWO) der GeoSphere Austria mit eingeblendetem Kompositvideo der Sonne von LASCO C3 und C2 an Bord des Stereo A Satelliten

 

3) Entwicklung des geomagnetischen Sturms und Effekte auf Magnetosphäre, Ionosphäre und Thermosphäre

3.1) Magnetosphäre

Das im Inneren der Erde generierte Magnetfeld fungiert als ein Schutzschild gegen den Sonnenwind. Dieser übt einen Druck auf das geomagnetische Feld aus, sodass die sonnenzugewandte (Tag-)Seite komprimiert und die sonnenabgewandte (Nacht-)Seite gestreckt wird. Diese so geschützte, erdnahe Umgebung wird als Magnetosphäre bezeichnet und ihre Abgrenzung Magnetopause. Diese Grenze hängt stark von den Eigenschaft des Sonnenwindes ab, speziell dessen Druck (erstes Panel) und der Bz Komponente des Interplanetaren Magnetischen Feldes (zweite Panel). Bei ruhigem Sonnenwind befindet sich die Magnetopause auf etwa 10 bis 13 Erdradiien (RE) Richtung Sonne auf der Tagseite (in Grau eingezeichnet).

Die Lage der Magnetopause kann sich jedoch während geomagnetischen Stürmen stark verändern (in Schwarz eingezeichnet) und kann unser Schutzschild sogar bis hinter deie geosynchrone Umlaufbahn (grauer Kreis), welche auf 6.6 Eardradiien zu finden ist, zurückdrücken.

Video: Die Kompression des Erdmagnetfelds auf der sonnenzugewandten Seite durch die koronalen Massenwürfe bereitgestellt des Instituts für Weltraumforschung (IWF)

Während der Muttertagsstürmen stieg der Sonnenwinddruck auf über 60 nano-Pascal, was die Magnetopause bis hinter die geosynchrone Umlaufbahn drückte. Dies wurde von den drei geosynchronen Satelliten KOMPSAT-2A, GOES-16 und GOES-18 und von THEMIS-A, welcher die Magnetosphäre traversiert, beobachtet: Ihre Magnetfeldmessungen zeigen die dynamischen Veränderungen in der Magnetosphäre (Panele 3-6). Diese sind auf beschleunigte Partikel zurückzuführen die das Schutzschild der Erde durchdringen wo sie zur Verstärkung von großräumigen Stromsystemen führen - Diese sind für die spezielle Form der Magnetosphäre verantwortlich. Ein Teil dieser geladenen Teilchen regnet in die Ionosphäre herab, welche sich zwischen 60 bis 300km über der Erdoberfläche befindet, wo sie unter anderem zu einer Verstärkung der auroralen Elektrojet Stromsysteme führen, welche im direkten Zusammenhang mit Nordlichtern stehen. Ihre Intensität wird mit den Auroralen Electrojet Indices AE beschrieben (letzter Plot) und wird vom World Data Center für Geomagnetismus in Kyoto zur Verfügung gestellt (https://wdc.kugi.kyoto-u.ac.jp/ae_realtime/today/today.html).

Während das Modell das Gesamtverhalten der Magnetopause beschreibt, können bisher weder einzelne, von Raumfahrzeugen beobachtete Durchquerungen, noch die Lage/Stärke von Polarlichtern erklärt werden, sodass die Beobachtungen durch die Flotte magnetosphärischer Satelliten, wie in im Video gezeigt, für das wissenschaftliche Verständnis des Weltraumwetters sowie seiner Auswirkungen auf Raumfahrzeugoperationen genutzt werden.

Das Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (https://www.oeaw.ac.at/iwf/) trägt aktiv zur Weltraumforschung durch Datenanalyse und Modellierung von magnetosphärischen Prozessen bei (https://www.oeaw.ac.at/en/iwf/research/research-groups/space-plasma-physics/space-weather) und baut Magnetometer, welche auf Weltraummissionen das Umgebungsmagnetfeld aufzeichnen, wie zum Beispiel FGM (https://www.oeaw.ac.at/en/iwf/research/space-missions/current-missions/themis/fluxgate-magnetometer-fgm) an Bord der THEMIS Mission (http://themis.ssl.berkeley.edu) und SOSMAG (https://www.oeaw.ac.at/en/iwf/research/space-missions/current-missions/gk-2a/sosmag) an Bord des GEOKOMPSAT-2A Satelliten, welcher in Kooperation mit der ESA betrieben wird (https://swe.ssa.esa.int/sosmag ).

 3.2) Ionosphäre

Nordlichter über Österreich

Die geomagnetischen Stürme während des Muttertagswochenende waren stark genug um Nordlichter bis nach Österreich zu bringen. Im Folgenden erläutert Andreas Pfoser (AustroControl) die Nordlichter genauer.

Video: Timelapse der Nordlichter über dem Traunsee von Mario Oberlaber

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Bild: Foto der Nordlichter über der Koralpe in Kärnten von Robert Raindl (links) über dem Südburgenland von Christian Möstl (rechts)

Einordnung:
In der Nacht vom 10./11. Mai 2024 konnten in Österreich weitläufig die intensivsten Polarlichter seit 20. November 2003, also seit mehr als 20 Jahren beobachtet werden. Die Erscheinung übertraf damit nicht nur alle (überwiegend nur schwachen) Polarlichtereignisse des vergangenen Sonnenfleckenzyklus SSC24 sondern auch die bisherigen bereits vielversprechenden Ereignisse des aktuellen Zyklus SSC25 (23./24. April 2023 und 5. November 2023) deutlich.
Neben den geomagnetisch hervorragenden Voraussetzungen (anhaltender G4 Sturm während der gesamten Nacht 10./11. Mai bis zur ersten Nachthälfte auch noch der Folgenacht 11./12. Mai, darin erster G5 Sturm seit 30. Oktober 2003) erwiesen sich vor allem die sehr guten Wetterbedingungen (verbreitet meist klarer Himmel oder maximal geringe Bewölkung) sowie auch die geringe Mondlichtinterferenz als Glücksfall (Mondphase 10./11. Mai gerade einmal 2-3 Tage nach Neumond, entspricht etwa einer beleuchteten Sichel von nur 8-10%). Zudem fiel die Beobachtungsnacht auf den Beginn eines Wochenendes, wodurch überdurchschnittlich vielen Menschen die Möglichkeit gegeben war, an der Beobachtungsnacht teilzunehmen. Als einziger bedeutenderer nachteiliger Effekt sei in diesem Zusammenhang die Mitte Mai bereits erheblich verkürzte Nachtdauer zu nennen (astronomische Dunkelheit – also Sonne zumindest 18° unter dem Horizont – stellte sich im Osten Österreichs erst um etwa 22:45 MESZ ein, weiter westlich entsprechend noch später, im äußersten Westen sogar um bis zu eine halbe Stunde).

Beobachtung:
Das Polarlicht war während der ersten Nacht 10./11. Mai praktisch durchgehend mit freiem Auge sichtbar (zumindest bei dunklem Himmel ohne Lichtverschmutzung) und während der zweiten Nacht 11./12. Mai zumindest noch kurzzeitig etwa um 22:50 MESZ fotografisch nachweisbar.
Die ersten Nachweise in der ersten Nacht 10./11. Mai gelangen anhand einiger Webcams im Osten (z.B.: Rax Ottohaus) und Süden Österreichs (z.B.: Falkert) bereits gegen 21:50 MESZ, im Westen (z.B.: Zugspitze) etwa 30 Minuten später. Zu dieser Zeit befand sich die Sonne gerade einmal 12° unter dem Horizont (Ende nautische Dämmerung). Visuell war das Polarlicht dann ab etwa 22:15 MESZ zu sehen. In diesem ersten Substurm dominierten rote Farbflächen, die mit Strahlen durchsetzt waren und hin- und herwanderten, überwiegend von Ost nach West. Ab 22:45 MESZ begann das Rot zu verblassen und die Augen richteten sich von nun an auf den grünen Polarlichtbogen, der knapp über dem Nordhorizont zunächst nur schwach leuchtete, in der Stunde von 23:00 bis 24:00 aber allmählich heller wurde und langsam, nahezu unmerklich, höher stieg. Während dieser Zeit konnten zudem zwei vom Polarlichtoval abgetrennte ungefähr West-Ost-ausgerichtete SAR Bögen (Stable Auroral Red Arcs) registriert werden, einer ab etwa 22:30 MESZ, der zweite ab einer guten Stunde später. Beide verlagerten sich im Verlauf der Zeit in äquatorwärtige Richtung über den Himmel.
Gegen 00:10 MESZ setzte dann der zweite und wohl spektakulärste Polarlicht-Substurm dieser Nacht ein. In den nun folgenden gut 75 Minuten entfaltete die Aurora einen ungewöhnlichen Varianten- und Farbreichtum sowie einen auffälligen Helligkeitsgrad. Im Gegensatz zum ersten Substurm dominierten auf breiter Front ausgeprägte, schräg geneigte violette und teils auch blaue Strahlen (ein Hinweis auf einen erhöhten Ionisationsgrad der hohen Atmosphäre), die rasch und diesmal vorwiegend von West nach Ost wanderten. Dazu waren auch wieder rote Farbflächen vor allem in größerer Höhe sowie an den seitlichen Rändern zu sehen und darunter weiterhin der grüne Polarlichtbogen. Auf manchen Fotos kann man dazu horizontnah auch orange und gelbe Farbtöne ausmachen, die auf additive Farbmischung und Extinktionseffekte aufgrund des langen Lichtweges durch die Atmosphäre zurückzuführen sind. Ab etwa 00:25 MESZ setzte dann für etwa eine Stunde die spektakuläre RAGDA Aurora ein (Red Arc with Green Diffuse Aurora) mit ihren pulsierenden grünen Flecken. Dazwischen entwickelten sich etwa um 00:30 bis 00:40 vorübergehend auch relativ große grüne seltsam diffuse Farbflächen in großer Höhe aus. Ab etwa 00:50-01:00 zeigte sich dann noch für gut 20-30 Minuten eine rote Polarlichtkorona mit hervorschießenden Strahlen aus der RAGDA über dem hohen Südhimmel.
Im weiteren Verlauf der Nacht konnten noch weitere kleinere Helligkeitsausbrüche beobachtet werden. Ab etwa 03:00 Uhr waren die Farbflächen und Strahlen dann nahezu komplett (blau)violett gefärbt (kaum Rot- und keine Grünanteile mehr; neben einer vermutlich stark erhöhten Stoßionisationsrate kam nun wahrscheinlich auch die Wirkung des hochenergetischen Sonnenlichts zur Geltung), zudem zeigte sich nochmals eine rote Korona.

Lage Polarlichtoval:
Während starker geomagnetischer Stürme verbreitern und vor allem verschieben sich die beiden globalen Polarlichtovale vorübergehend signifikant Richtung niedrigere Breiten. Während ihre Normallage an der Nachtseite typischerweise mit etwa 65-70° geomagnetischer Breite angenommen werden kann, dürfte der Südrand des Nordlichtovals während der Hauptphase des geomagnetischen Sturms am 11. Mai 2024 bis zumindest 50° geomagnetischer Breite (entspricht etwa Nord-/Mittel-Deutschland), vielleicht auch noch etwas weniger, vorgedrungen sein.
Damit gelangte das Polarlichtoval in den Sichtbereich Österreichs, wenn wir auch durchwegs südwärts des Polarlichtovals verblieben und die Erscheinung bei uns damit – nicht überraschend – hauptsächlich am Nordhimmel sichtbar war. Eine Ausnahme stellen aber die subauroralen Phänomene SAR Bogen und RAGDA dar, welche sich während heftiger geomagnetischer Stürme bis zu mehrere 100km äquatorwärts von den eigentlichen Ovalen entfernen können. Dies war offensichtlich auch in der Nacht 10./11. Mai der Fall, wodurch diese Erscheinungen in Österreich zeitweise über den lokalen Zenit hinaus auf den hohen Südhimmel übergreifen konnten.

 3.3) Thermosphäre

Eine Folge der Einspeisung von Energie in das erdnahe System während geomagnetischen Stürmen ist die Erhitzung der neutralen Atmosphäre. Auf einer Höhe von ca. 85km - 500km befindet sich Thermosphäre, welche sich durch die Erhitzung ausdehnt. Auf einer Höhe von 200 bis 2000km befindet sich der Low Earth Orbit, der erdnahen Umlaufbahn von Satelliten. Eine Ausdehnung der Thermosphäre bedeutet erhöhte Reibungskräfte die auf die Satelliten wirken und dadurch können diese gebremst werden und an Flughöhe verlieren.

Das Prognosetool SODA (Satellite Orbit DecAy) in Kooperation zwischen TU Graz und Uni Graz basiert auf einer interdisziplinären Analyse geodätischer Weltraumbeobachtungen und in-situ-Messungen des Sonnenwinds. Es prognostiziert die Auswirkung koronaler Massenauswürfe auf die Höhe von erdnahen Satelliten in 490 km Höhe mit einer Vorlaufzeit von etwa 20 Stunden. Zusätzlich klassifiziert es die Stärke des erwarteten geomagnetischen Sturms anhand der Space Weather G-Skala der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). SODA ist auch im Rahmen der ESA Weltraumwetter Dienste verfügbar unter https://swe.ssa.esa.int/soda-federated.

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Bild: SODA Modell der TU Graz und Uni Graz welche die Umlaufbahnradiusverringerung während der Muttertagsstürmen abbildet

Während der Muttertagsstürme konnte mittels SODA eine Vorhersage des Orbit Decays für 490km auf 30m berechnet werden, was seit den Ereignissen der Halloween Stürmen in 2003 die höchsten Werte darstellt. 
 


4) Auswirkungen auf Endnutzer

Auswirkungen auf GNSS-Nutzer

Nutzer von Globalen Satellitennavigationssystemen (GNSS), wie GPS oder Galileo, sind darauf angewiesen, dass die Satellitensignale störungsfrei empfangen werden können und die Signalverzögerung, verursacht durch freie Elektronen und Ionen in der Atmosphäre, ausreichend modelliert werden kann.

Im folgende eine Beschreibung und Erläuterung der TU Wien. Die Sonnenstürme im Mai haben die Zusammensetzung der Ionosphäre erheblich beeinflusst. Dabei sind für die GNSS-Positionierung insbesondere die mittlere Elektronendichte als auch Fluktuationen im Ionosphärenplasma entscheidende Faktoren.
Die geomagnetischen Stürme haben dazu geführt, dass die mittlere Elektronendichte allmählich auf einen niedrigeren Wert als üblich abfiel (deutlich geringere Werte am 11.05.2024 rechts, im Vergleich zum Vortag 10.5.2024 links).

Animation: Gesamtanzahl an freien Elektronen in der Atmosphäre über Europa, abgeleitet aus GNSS Beobachtungen eines globalen Stationsnetzes. 1 TECU entspricht einer Elektronendichte von 10^16 Elektronen/m² beziehungsweise einer GNSS-Signalverzögerung von 15-20 cm, je nach Frequenz.
Links: Die mittlere Elektronendichte am 10.05.2024, vor dem Sonnensturm.
Rechts: Die mittlere Elektronendichte am 11.05.2024, während des Sonnensturms. 

An der Station Graz betrug im Zeitraum der höchsten Aktivität (10. Mai 22 UTC – 12. Mai 4 UTC) die Abnahme in der Elektronendichte bis zu 30 TECU, wie im folgenden Bild dargestellt.

Bild: Zeitserie des VTECs (vertikale Elektronendichte) über Graz, abgeleitet aus GNSS Beobachtungen.

In 1-Frequenz Navigationsempfängern (von ~90% der Nutzer verwendet) wird der ionosphärische Effekt auf die Signalverzögerung durch das Klobuchar-Modell oder das NeQuick-G-Modell korrigiert. Die benötigten Modellparameter werden über die GNSS-Navigationsnachricht direkt vom Satelliten bezogen. Wie gut das NeQuick G während des Sonnensturms funktionierte, ist in den folgenden zwei Grafiken veranschaulicht.

Bild: Restfehler des NeQuick G Modells über Europa am Links: 10.05.2024 [TECU], vor dem Sonnensturm und Rechts: 11.05.2024 während des Sonnensturms. Vergleichsmodell: ESA Ionosphärenkarten, berechnet aus globalen GNSS Netzen.

Es zeigt sich, dass während des Sonnensturms das Galileo NeQuick G Modell die mittlere Elektronendichte unterschätzt (blaue Farbe). Der absolute Fehler liegt mit 10 TECU innerhalb, wenn nicht sogar leicht unter den Werten vor dem Sturm. Demnach war auf Grund der Sonnensturm-induzierten Änderungen in der mittleren Elektronendichte keine geringere GNSS Positionierungs-Genauigkeit zu erwarten.
Zusätzlich zur mittleren Elektronendichte, können Fluktuationen im Ionosphärenplasma Schwankungen in der Signalstärke und eine Defokussierung des Signals verursachen. Die Analyse der VTEC-Zeitserien an ausgewählten GNSS Stationen in Österreich zeigt, dass während der Sonnenstürme keine stärkeren VTEC-Fluktuationen beobachtet werden konnten. Der Einfluss auf die GNSS-Signalstärken war folglich gering, wie in den folgenden zwei Bildern für den 10. Mai und 11. Mai dargestellt.

Bild: Signal-Rausch-Verhältnis (engl. SNR) in [dB-Hz] als Funktion des Elevationswinkels für alle an der Referenzstation Baden (NÖ) beobachteten GPS Satelliten über einen Zeitraum von 24 Stunden. Oben: Für den 10.Mai 2024, vor den Sonnenstürmen. Unter: Für den 11.Mai 2024, während der aktivsten Phase der Sonnenstürme.

Die Analyse der GNSS-Signalstärken gibt keinen Hinweis auf Schwierigkeiten im GNSS-Signalempfang. Die Anzahl an Cycle Slips in den GNSS Phasenbeobachtungen (ein Hinweis auf Empfangsprobleme) war weitgehend unauffällig.
Demnach hatten die Sonnenstürme im Mai 2024 nur einen schwachen Einfluss auf den GNSS-Empfang in Österreich. Ein zeitweiser Ausfall von GNSS war nicht festzustellen. Einschränkungen in vereinzelten Services (z.B. RTK-Services), vor allem in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai, sind jedoch nicht auszuschließen, insbesondere wenn über längere Basislinien gemessen wurde.

Das Bundesamt für Eich- und Vermesswesen benutzt den Positionierungsdiesnt APOS (https://www.bev.gv.at/Services/Produkte/Grundlagenvermessung/APOS.html) für welchen Auswirkungen der Muttertagsstürmen nicht wirklich spürbar waren. Rückmeldungen von Kunden waren nicht häufiger als sonst.

Geomagnetisch Induzierte Ströme

Die Muttertagstürme führten zu den höchsten, seit Beginn der GIC-Aufzeichnungen, gemessenen Sternpunktströmen i.d.H.v. 22,7A laut dem Österreichischen Netzbetreiber Austrian Power Grid (APG). Dieser Wert war bemerkenswert nahe an der Auslegungsgrenze des Sternpunktmesssystems (25A). Im Stromnetzbetrieb wurden in den Tagen erhöhter Sonnensturmaktivität (10.-13.05.) keine besonderen Ereignisse festgestellt. Es kam zu keinen unvorhergesehenen Betriebsmittelausfällen. Etwaige erhöhte Blindleistungsbedarfe der Transformatoren konnten problemlos gedeckt werden. Die Versorgungssicherheit war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.  

Strahlungsbelastung

Das Muttertagsevent war ein interessantes Weltraumwetterevent auch aus Strahlungsperspektive, wobei zwei verschiedene Phänomena beobachtet werden konnten:

  1. ein relative starker Forbush-Abfall
  2. Schwaches und kurzes Ground Level Enhancement (GLE)

Der von den Seibersdorf Laboratorien betriebene AVIDOS-Dienst meldete keine zusätzliche Dosis über dem Normalwert.

Forbush Abfall (Forbush Decrease)

In der Nacht des 10. Mai 2024 wurde ein Forbush-Abfall beobachtet. Ein Forbush-Abfall (oder auch Forbush Decrease) ist eine temporäre Abnahme der galaktischen kosmischen Strahlung (GCR) und damit eine leicht niedrigere GCR-bedingte Strahlendosis, die durch einen koronalen Massenauswurf (CME) verursacht wird. Die GCR-Intensität wird von einem Netzwerk von Neutronenmonitoren auf der Erdoberfläche gemessen. Während des Forbush-Abfalls sinken die gemessenen Zählraten typischerweise um etwa 3 bis 20 %. Während der Muttertagsstürme wurden von allen Neutronenmonitorstationen eine reduzierte Zählrate gemeldet. Der Forbush-Decrease ist ab etwa 21:00 UTC am 10. Mai deutlich sichtbar.

Bild: Relative Zählraten von Neutronen während der Muttertagsstürme gemessen an 39 Neutronenmonitorstationen. Diese Abbildung stammt von der GLE Datenbank bereitgestellt von der Universität Oulu, Finland (https://gle.oulu.fi

Innerhalb der folgenden 2-3 Wochen kehrten die Zählraten langsam wieder auf Hintergrundlevels zurück. Interessanterweise ist der Abschirmungseffekt des CME auch im Protonenfluss, der von den GOES-Satelliten gemessen wird, erkennbar.

Bild: Integrierte Protonenfluss gemessen bei den GOES Satelliten der NOAA. Die Abbildung wurde vom ESA SSA Space Radiation Expert Service Center generiert und zur Verfügung gestellt von BIRA-IASB (https://www.aeronomie.be/)

Der Protonenfluss ist leicht reduziert mit Energien >100 MeV und >500 MeV kurz vor dem 11. Mai. Der Fluss von >500 MeV ist besonders interessant, da Protonen mit solch hohen Energien messbare Effekte auf der Erdoberfläche verursachen können, z.B. an Neutronenmonitorstationen. Die Abnahme des Protonenflusses von >500 MeV, gemessen von den GOES-Satelliten, stimmt gut mit dem von Neutronenmonitoren am Boden beobachteten Forbush-Decrease überein.

Ground Level Enhancements

Am 11. Mai 2024 wurde ein Ground Level Enhancement (GLE) verzeichnet. Diese werden seit den 1940er Jahren regelmäßig aufgezeichnet und dieses war das 74. GLE Event. Ein GLE ist ein solares Partikelevent (SEP), bei dem solare Protonen genügend Energie besitzen, um die Messraten von Neutronenmonitorstationen auf der Erdoberfläche zu erhöhen. GLE-Ereignisse können zu einem vorübergehenden Anstieg der Strahlenbelastung am Boden und in der Atmosphäre führen. Ein guter Indikator für ein mögliche GLEs ist der Protonenfluss mit >500 MeV, der von den GOES-Satelliten gemessen wird. Wie in der oberen Abbildung ersichtlich, steigt der Protonenfluss, nach einem anfänglichen Rückgang in den ersten Stunden des 11. Mai an. Das Auftreten von GLE-Ereignissen wird von verschiedenen Diensten überwacht. Einer davon ist der GLE Alert++ bereitgestellt von NKUA Cosmic Ray Group (http://cosray.phys.uoa.gr/), der auch über das Weltraumwetterportal der ESA (https://swe.ssa.esa.int/) verfügbar ist.

Um 2:05 UTC wurde eine Benachrichtung über den GLE Alert++ Service versand: Mindestens drei Neutronenmonitorstationen zeigten gleichzeitig erhöhte Zählraten an. In der Abbildung unten sind auch die relativen Zählraten der vier beteiligten Neutronenmonitorstationen  LMKS (Lomnický štít in der Slowakei), OULU (Oulu, Finnland), SOPO und SOPOB (beide am Südpol) zu sehen, die GLE Alert++ dazu veranlassten, den Alarm auszulösen. Der GLE-Alarm war jedoch kurz - er dauerte, wie von GLE Alert++ angegeben, nur etwa 15 Minuten.

Bild: (links) Benachrichtigung des GLE-Alert++ bereitgestellt von der Universität Athen im ESA Service dargestellt. (rechts) Die relativen Zählraten von den vier Neutronenmonitorstationen während des 74. GLE Events, entnommen der Neutron Monitor Database NMDB (https://www.nmdb.eu/) von der Universität Kiel

Auch andere Neutronenmonitorstationen registrierten eine erhöhte Zählrate. Ein genauerer Blick auf diese Anstiege zeigt, dass während des GLE keine der Neutronenmonitorstationen den Zählwert erreichte, den sie unmittelbar vor dem Muttertagsereignis hatte.

Strahlungsdoseneinschätzung von AVIDOS

Seibersdorf Laboratories betreiben den AVIDOS-Dienst im Weltraumwetterportal der ESA (https://swe.ssa.esa.int/avidos-federated). AVIDOS ist eine Informations- und Lernsoftware zur Abschätzung der Strahlendosisbelastung durch galaktische kosmische Strahlung (GCR) und solare kosmische Strahlung (SCR) für die zivile Luffahrt. Die Algorithmen von AVIDOS berechnen den Beitrag der GCR und der solaren Protonenstrahlung getrennt, um die gesamte Strahlendosis auf Flügen zu ermitteln. In der aktuellen Version von AVIDOS werden Forbush-Abfälle allerdings nicht berücksichtigt, da die damit verbundene Dosisreduktion zeitlich begrenzt und gering ist. Zur Bewertung der Strahlendosis eines GLE verwendet AVIDOS Algorithmen, die eine minimal und maximal zu erwartende Dosis durch ein GLE berechnen. Während des GLE 74 am 11. Mai 2024 konnte AVIDOS keine zusätzliche Dosis feststellen, die höher lag als die Dosis der galaktischen kosmischen Strahlung kurz vor dem Muttertagsereignis.

 

Bild: Strahlungsdosis während des Muttertagsevent für einen Transatlantikflug von Wien nach New York während des GLE 74 Events berechnet von AVIDOS von Seibersdorf Laboratories

 

Österreichischer Weltraumwetter Service 

Für Live Weltraumwetter Daten und Vorhersagen in visuell-aufbereiteter Form steht das Dashboard der SWAP Webseite unter https://swap.geosphere.at/index.php/at/sw-aktuell zur Verfügung. 

Wissenschaftliche Daten und Modelle sind am Dashboard des ASWOs zu finden: https://helioforecast.space/dashboard

Österreichische Weltraumwetter Services bei der ESA 

Österreichische Institutionen stellen Services für die Europäische Weltraumbehörde ESA (European Space Agency) zur Verfügung. Dabei werden auch Alerts und Benachrichtigungen versendet. Die Services kann man sich, nach erfolgreichem Anmelden, auch ins eigene Postfach holen:

Alerts zu Flares (Kanzelhöhe): https://swe.ssa.esa.int/web/guest/kso-S107d-federated

Drag-Based Model (DBM) zur Ausbreitung von CMEs (Uni Graz): https://swe.ssa.esa.int/graz-dbem-federated

Satellite Orbit DecAy (SODA) zur Berechnung von Orbit Decay (Uni Graz & TU Graz): https://swe.ssa.esa.int/soda-federated

AVIDOS zur Berechnung von Strahlungsdosen (Seibersdorf Laboratories): https://swe.ssa.esa.int/avidos-federated

 

 

 

Projektpartner

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